FAZ: "Das schreckliche Deutsch. Wie Unterricht die sprachliche Integration erschwert"

Winfried Thielmann, Professor für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der TU Chemnitz, beschäftigt sich in seinem am 11.07. in der FAZ veröffentlichten Beitrag "Das schreckliche Deutsch. Wie Unterricht die sprachliche Integration erschwert" mit der nach seiner Meinung falschen Didaktik in den Integrationskursen.

Er sieht darin einen der Gründe für die schlechten Ergebnisse bei dem Integrationskurse abschließenden Deutschtest für Zuwanderer. Die Inhalte dieser Kurse seien so geartet, dass sie das Erlernen der deutschen Sprache nicht erleichtern, sondern erschweren würden.

"Denn die Didaktik der Kurse und vieles, worum es im „Deutschtest für Zuwanderer“ geht, sind aus wissenschaftlicher Sicht nicht auf das Können ausgerichtet, das von einem Deutsch-Lerner sinnvollerweise im Rahmen der zur Verfügung stehenden Unterrichtszeit zu erwarten wäre."

 

(as)

 

Prof. Thielmann weist auf Untersuchungen (von Harald Clahsen, Jürgen M. Meisel und Manfred Pienemann oder von der Arbeitsgruppe um Erika Diehl) hin, deren Ergebnis sei, "dass sich die Weisen, auf die sich Lerner mit und ohne Sprachunterricht bestimmte Strukturen des Deutschen aneignen, nur geringfügig unterscheiden und einer Eigengesetzlichkeit folgen. Der Spracherwerb geschieht – weitgehend unabhängig von Alter, Vorbildung oder Erstsprache der Lerner – in aufeinander aufbauenden Erwerbsstufen, deren Reihenfolge durch Unterricht nicht zu beeinflussen ist. Einem Lerner, der „heute ich geh Kino“ sagt, kann man die korrekte Satzstellung „heute gehe ich...“ noch nicht beibringen. Mehr noch, erst ein Lerner, der über die korrekte Satzstellung heute gehe ich‘ verfügt, hat das Rüstzeug, sich mit Kasus, also mit der Frage zu befassen, warum man „den“ Kuchen isst und nicht „der“ oder „dem“. (...)

Wir wissen, dass der Spracherwerb erst einmal mit isolierten Wörtern und Brocken losgeht („guten Tag“, „ich heiße...“), ohne dass die Lerner die Strukturen verstehen. Anschließend eignen sie sich in mehreren Schritten die deutsche Satzstruktur an. (...) Eine Sprachdidaktik, die die Befunde der Spracherwerbsforschung berücksichtigt, würde erst einmal damit beginnen, so viel Wortschatz wie möglich beizubringen, anschließend den Erwerb der Satzstrukturen fördernd begleiten und erst dann mit Kasus anfangen, wenn die Satzstrukturen erworben sind. Strukturen würden zu demjenigen Zeitpunkt vermittelt, zu dem Lerner für diese Strukturen „reif“ sind."

Prof. Thielmann kritisiert, dass in  den  in Integrationskursen eingesetzten Lehrwerken viel zu früh mit Kasus angefangen werde, was auf Kosten der Wörter gehe, die Lerner von Anfang an  brauchen würden.  "Was macht ein Lerner, dem  man bereits Strukturen  abverlangt,  wenn er noch nicht einmal genügend Wörter hat, um die einfachsten Dinge zu sagen? Wahrscheinlich wird er hinter seinen eigentlichen Fähigkeiten zurückbleiben oder so demotiviert sein, dass er den Kurs nicht bis zum Ende besucht."

Laut Prof. Thielmann hängt die verfehlte und "aus wissenschaftlicher Sicht unsinnige  Didaktik" der Integrationskurse mit der teilweise falschen Übersetzung des englischen Originaldokuments des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) zusammen, auf den sich alle Lehrwerke beziehen. Er fordert, "die deutsche Übersetzung des Referenzrahmens einer Revision zu unterziehen."