"Deutsch lernt man schon irgendwie…Oder?" Ein Diskussionsbeitrag zur DaZ-Situation

Als Wirtschaft und Gesellschaft sind wir auf Zuwanderung angewiesen, da es zu wenig Nachwuchs gibt. Dabei geht es vorrangig um qualifizierte Berufe, die nicht mit rudimentären Deutschkenntnissen auskommen. Zudem können Menschen ohne Sprachkenntnisse nicht wirklich verstehen, wie wir uns ein Zusammenleben nach geltendem Recht vorstellen. Wir haben als Land lange gelitten (Dreißigjähriger Krieg zwischen Protestanten und Katholiken, Duellzwang nach Beleidigung bis Ende des 19.Jahrhunderts, Diktatur im Dritten Reich), bis das Rechtssystem über Religion und Ehrenkodex stand, sodass wir uns im öffentlichen Raum zumeist angstfrei bewegen können und wir möchten natürlich, dass das so bleibt. Kurz und gut: Es ist dazu ein höheres Sprachniveau notwendig (mindestens B2). Leider sägt man gerade an den Grundlagen (Integrationskursen und Berufssprachkursen), die dafür notwendig sind.

 

In der Diskussion um Art und Umfang von Sprachkursen kommen selten DaF-Lehrende oder SprachwissenschaftlerInnen zu Wort. So kommt es zu dem Glauben, dass Erwachsene eine Fremdsprache sehr schnell oder einfach so nebenher lernen könnten, am besten noch mit einer App, die kaum etwas kostet.

 

Dieser Irrglaube führt natürlich erst einmal zu willkommenen Einsparungen, kostet gesamtgesellschaftlich aber im Endeffekt wesentlich mehr, da es zu Ausbildungsabbrüchen kommt, Arbeitnehmende überfordert sind und so doch nicht in dem anvisierten qualifizierten Beruf bestehen können etc.

 

In meinen zehn Jahren als Dozentin für Deutsch als Fremdsprache habe ich oft erlebt, dass Teilnehmende, die seit zehn Jahren in Deutschland leben und bislang keinen professionellen Deutschkurs besucht hatten, binnen acht Monaten von neu Zugewanderten „überholt“ wurden. Die „alten Hasen“ waren einfach nicht mehr motiviert, alles noch einmal zu lernen. Sie verfügten zwar über einen größeren Wortschatz und konnten Alltagsdialoge besser führen, aber die Schriftsprache war eine Katastrophe und auch beim Sprechen hatten sich falsche Grammatik und Aussprache so verfestigt, dass sie kaum umgelernt werden konnten. In der Sprachwissenschaft spricht man hier von Fossilierung, d.h. dass nach ca. drei Jahren falscher Anwendung ein Umlernen kaum mehr möglich ist. Das alles wäre nicht passiert, wenn sie die Sprache von Anfang an richtig gelernt hätten.

 

Wichtig ist dabei, dass der Deutschkurs nicht von Ehrenamtlichen oder unzureichend qualifizierten Lehrkräften durchgeführt wird, damit die Sprachentwicklung wirkungsvoll und effizient verläuft. So haben die Teilnehmenden schnell Erfolgserlebnisse und bleiben motiviert. Ab B2 können sie dann in die Ausbildungen und Betriebe gehen- davor ist es noch zu überfordernd für sie, da der Wortschatz noch nicht annähernd reicht, um dem Unterricht bzw. den Anweisungen und Kundenanfragen wirklich folgen zu können. Aber genau dies wird jetzt durch die Kürzungen untergraben. Da will man Leute, die etwas länger brauchen, um zu lernen, nicht weiter in Sprachkursen fördern und drängt sie in eine Ausbildung oder Arbeit, die sie überfordert. Ich habe zwei Jahre Deutschförderunterricht für Azubis mit Migrationshintergrund gegeben und gesehen, wie unrealistisch die Annahme ist, man könnte parallel mit wenigen Stunden Deutschunterricht pro Woche eine ganze Sprachstufe besser werden. Sie waren mit der Arbeit und dem Berufsschulunterricht alleine schon total überfordert, wenn sie unter der Sprachstufe B2 sind und haben gar keine Zeit zusätzlich zu lernen. Manche hatten sogar nur A2 und selbst bei B1 war es für sie kaum möglich, selbstständig ihre Hausaufgaben zu machen. Die Betriebe haben sie oft noch nicht einmal vier Stunden pro Woche für den Unterricht freigestellt- das ist viel zu wenig. Generell war es einfach für sie so frustrierend an allen Ecken überfordert zu sein und nicht wenige haben abgebrochen. Hätten sie B2 vorher abschließen dürfen, wäre die Situation anders gewesen- sie wären in den Betrieben besser einsetzbar gewesen und weniger hätten die Ausbildung abgebrochen bzw. mehr hätten bestanden.

 

Sprachkurse sollten also allen, die in Deutschland eine Bleibeperspektive haben, früh und umfangreich zur Verfügung stehen. Natürlich spricht überhaupt nichts dagegen, dass sie parallel Praxiserfahrung sammeln- das wäre sogar hilfreich und motivierend. Dennoch benötigt die Sprachentwicklung Zeit, Konzentration und Disziplin.

 

Die Basis eines guten Deutschunterrichts ist eine gut ausgebildete Lehrkraft, die sich ständig weiterbildet. Das ist kein Beruf, den man gut nebenberuflich machen kann. Als Integrationskurslehrer muss man schon jetzt Deutsch oder Deutsch als Fremdsprache studiert haben und wenn das Studium nur entfernt mit Sprache zu tun hatte, ist eine umfangreiche Fortbildung verpflichtend, die ein bis zwei Jahre dauert. Leider wird diese Ausbildung nicht entsprechend vergütet und jetzt steht für viele Lehrende sogar die Arbeitslosigkeit im Raum, weil man von staatlicher Seite Mittel streicht.

 

Für uns Lehrende war die Situation schon immer prekär: kurze, schlecht bezahlte Verträge, in der Mehrzahl nur Honorarverträge. Ich hätte mir nie vorgestellt, dass so etwas möglich ist, als ich damals diese Richtung gewählt habe. Ich habe gedacht, ein Beruf, der so hohe Qualifizierungsansprüche stellt und so arbeitsintensiv und wichtig ist, wird schon so bezahlt werden, dass man davon leben kann. Aber weit gefehlt. Das Honorar ist mit den Jahren etwas gestiegen, die Kosten und Abgaben aber auch. Ich habe nur zu Beginn auf Honorarbasis gearbeitet, da ich nichts anderes bekommen habe (was jetzt wieder der Fall ist). Die Sorgen und der Ärger als Honorarkraft waren groß. Nach allen Abzügen hatte ich ungefähr auf das Jahr gerechnet etwas über 1000 Euro netto im Monat bei 20 Unterrichtsstunden pro Woche. Vorbereitung und Korrekturarbeiten kamen noch unbezahlt oben drauf. Auch in Festanstellung blieb es bei etwas über 1000 Euro netto für 20 Stunden Unterricht pro Woche.

 

Das ist einfach ein unhaltbarer Zustand! Versucht man das Gehalt zu verhandeln, hört man nur, dass die Honorarsätze und Tarife unverhandelbar sind. Dieser Staat kann nicht davon ausgehen, dass unter diesen Arbeitsbedingungen Lehrer für Deutsch als Fremdsprache erhalten bleiben bzw. AbiturientInnen dieses Studium wählen. Jeder Mensch braucht einen Beruf, von dem er leben kann und eine angemessene Bezahlung drückt auch Wertschätzung und Respekt aus.

 

Der Bund, das Bundesamt für Migration bzw. die Arbeitsagenturen und Jobcenter stehen hier in der Verantwortung. Sie müssen dafür sorgen, dass die Bezahlung und Konditionen gerecht sind, damit es langfristig guten Deutschunterricht gibt.

 

Verfasst von Stephanie Koch (Dipl. Pädagogin mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung, erstes Staatsexamen Lehramt Deutsch/Modulschwerpunkt Deutsch als Fremdsprache…, einjähriges Goethe-Studienprogramm) Lehrkraft für Deutsch als Fremdsprache (zurzeit arbeitssuchend)

 

Stephanie Koch: Deutsch als Fremdsprache vermitteln. Die wichtigsten Grundlagen in komprimierter Form

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Kommentare: 5
  • #1

    Jana (Sonntag, 02 Februar 2025 10:08)

    Ja, meine Schüler führen dank Jobcenter ein besseres Leben.

  • #2

    Thomas (Dienstag, 04 Februar 2025 14:01)

    Ja, und dank der hervorragenden Arbeit der Politiker folgen ihnen die Kursleiter auch dorthin...

  • #3

    Schabi (Donnerstag, 06 Februar 2025 22:18)

    Wer die Sinnlosigkeit der Integrationskurse thematisiert ("Ich habe Terrminn" - Thema Verspätung, Frühergehen, Nichterscheinen) fliegt raus, d.h. wird bei Aufträgen nicht mehr bedacht.

  • #4

    Yasmin (Freitag, 07 Februar 2025 14:36)

    Ich stimme dem Beitrag von Stefanie nur in Teilen zu. Es ist nicht gesagt, dass die Menschen besser Deutsch gelernt hätten, hätten Sie von Anfang an einen Kurs besucht, einige ja, andere nicht, also kurzum: vielleicht. Da spricht eher das Lehrerwunschdenken, vermute ich. Es ist eine Frage der Persönlichkeit der Lerner, oder auch der Lehrenden. Fakt ist jedoch, sie hätten die Chance dazu gehabt, insbesondere wären sie in den Genuss der Vermittlung von wertvollem Wissen gekommen, was Sitten und Gebräuche, Werte, Rechten am Arbeitsplatz und beim Arzt, beim Mietrecht usw. geht. Es ist erschreckend, wie obrigkeitsfügig viele sind und dadurch leicht manipulierbar, bzw. wie viel Ausbeutung und Ausnutzung stattfindet. Wir sollten die Werte auch leben und erkennen können, die wir vorgeben zu haben!

  • #5

    Ulrike B. (Samstag, 08 Februar 2025 11:18)

    Ich habe in 9 Jahren I-Kurse incl. Alpha und BSK Kurse auf Niveau A2 bis B2 die Erfahrung gemacht, dass bzgl. Lehrkräfte-Qualifizierung die pädagogischen Grundqualifikationen viel wichtiger sind als die sprachlichen ( bes. bei Alpha LK ), bzgl. Lernenden intrinsische und extrinsische Motivation extrem wichtig sind und die Notwendigkeit, im Alltag auf Deutsch zu kommunizieren eklatant abnimmt, je größer die muttersprachliche Community wird. Die Einsparungen sind für mich verständlich und sinnvoll, aber nur wenn sie mit einer Straffung der individuellen Kurshistorie und Sanktionen durch die JC bei Unwillen oder Verweigerung einhergehen.