Vom Fortschritt des Digitalen. Wie aus dem 3. Modell das 5. wurde

Bild von Free-Photos auf Pixabay
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Das Sprecherteam des Bündnisses DaF/DaZ-Lehrkräfte bedankt sich herzlich bei den Kolleg*innen für die bisher zugeschickte Berichte über ihre Erfahrungen mit dem 5. Modell und bittet andere Kolleg*innen um weitere Berichte. Das Bündnis möchte die Berichte bzw. eine Auswahl dem BAMF, BMI, BMAS, der Bewertungskommission für Integrationskurse, den für Integration zuständigen Politiker*innen, Gewerkschaften und Medien zuschicken. Natürlich werden die Berichte anonymisiert, sodass weder der Name der Lehrkraft und des Trägers noch die Stadt bekannt werden. 

Das Sprecherteam bittet die Kolleg*innen folgende Punkte in ihrem Bericht zu berücksichtigen: Niveau des Kurses, Mehraufwand für Vor- und Nachbereitung, Unterrichtsqualität und Lernerfolg, eventuelle Assistenz, Reaktion der TN, Folgen für die Gesundheit der Lehrkraft. Wichtig wäre es auch zu schreiben, ob man vom Träger einen Anteil an der Pandemiezulage für die Mehrarbeit bekommt sowie wie der Träger auf eventuelle Einwände der Lehrkräfte und eine eventuelle Bitte um ein höheres Honorar reagiert hat. Die Berichte können an sprecherteam@dafdaz-lehrkraefte.de geschickt werden.

Hier befindet sich in Form einer Glosse der Bericht einer Kollegin aus Süddeutschland:

 

Vom Fortschritt des Digitalen

 

Juhuu, der Digitalpakt ist von der Regierung 2018 bekundet und vom Bundesrat 2019 beschlossen, innerhalb des gleichen Jahres, in dem die Volkshochschule ihre 100-Jahr-Feier beging. Bildung für alle – mit digitalem Whiteboard, VR-Brille und schnellem WLAN!

 

Juhuu, ich bin gut vorbereitet für den ersten Unterrichtstag, denke ich so für mich, habe mir eigens das DUP, das Digitale Unterrichtspaket, angeschafft, so billig ist es nun für die nächsten drei Jahre Lizenz nun auch nicht, habe die web-App-Version genommen, da ich mein Endgerät vor Ort ja noch nicht kenne und doch Zugriff haben möchte.

 

Juhuu, es ist wenigstens Modell 3 geworden und nicht Modell 5; das wollte ich nämlich gar nicht machen. Modell 3 also mit Livestream, deshalb für mich die Erleichterung, über das DUP das Kurs- und Übungsbuch für alle sichtbar projizieren zu können, damit auch alle wissen, wo wir gerade sind, und mittels meiner Markierungen und Lückenübungslösungen auch wissen, was wir gerade machen. Modell 3 also entspricht meinem, des Trägers frei gewählten vom BAMF vorgeschlagenen flexiblen, Unterrichtsmodell: Präsenzunterricht mit Livestreamübertragung im 2. Kursraum.

 

Ich freue mich. Ich freue mich wirklich auf den Unterricht und vor allem, die Teilnehmenden wiederzusehen und natürlich einige Kolleg*innen und natürlich darüber, dass jetzt endlich, nach 4 langen Monaten, ein Stück Normalität im Alltag beginnt. Tatsächlich, bis auf zwei TN sind alle da und gespannt, was nun kommt. Ich auch.

In beiden Räumen sind sog. Wagen mit Tablets, bei denen ich nur über den Bildschirm wischen muss, um sie immer wieder mal aufzuwecken. Zwei prima große Fernseher wurden auch beschafft. Sehen gut aus!

Nach kurzer einführender Erklärung verschwindet der Techniker und kurz darauf auch die pädagogische Mitarbeiterin. Wenig später verschwinden aber auch Bild und Ton . In beiden Räumen. Dann ist das Bild plötzlich wieder da, aber eingefroren. Ich rufe den Techniker. Jemand anderes Zuständiges kommt, und versucht die Wiederherstellung. Schwierig. Geht aber.

Aber nicht zu lange. Der Zuständige ist soeben im Aufzug verschwunden. Ich nicht. Und weil ich vorhin gestanden bin, zeigt das Bild im Fernseher jetzt einen Ausschnitt meiner, völlig erstarrt. Bald erstarre ich auch real. Die Sache mit dem DUP kann ich vergessen. Klar, die Kamera soll laut BAMF ja auch frontal arbeiten, Menschen zeigen und nicht das Kursbuch. Irgendwann gibt es wieder ein Bild. Sogar ein Zweites und wir sehen schemenhaft verschwommen Personen im Nebenraum.

Ich versuche mich an einem Tafelanschrieb. - Kann niemand „drüben“ lesen. Also nutze ich das Tablet als Dokumentenkamera, nehme mir ein weißes Blatt Papier und schreibe in großen Lettern die Lösungen der zu wiederholenden Grammatikübung auf. Die Kameraübertragung klappt sogar vor Ort. Am Ende des Blattes machen die TN ein Foto und senden per Whatsapp an die Kolleg*innen im Nebenraum.

Echt nett! Endlich Pause und ich habe mein Sportpensum für heute erfüllt. Obgleich der zweite Raum doch direkt nebenan ist; da ich hin und herrenne, um zu kommunizieren, nachzufragen, meine nächsten Aktionen anzukündigen, bin ich nichts als unterwegs. Was für eine Unruhe!

Pause. Ich bekomme wider Erwarten sogar einen Platz auf der Toilette. Denn es darf immer nur eine Person die Gruppennutzungskabine betreten. Dann sinke ich in den IKEA-Sessel im Luxus-Lehrerzimmer und nage hilflos an meinem Brot. Auf geht’s.

Wir haben Sommer, die Außentemperaturen steigen und damit auch die Innentemperatur im Sonnenzimmer auf gefühlt das Doppelte. Und ich renne noch immer fleißig zum Wohle meiner Teilnehmenden hin und her. Der Livestream ist absent. Die Verbindung WLAN -Zoom- Kursträger hüpft raus und rein, wie sie will. Das was ich praktiziere, ist Modell 5: Präsenzunterricht mit einer Lehrkraft in zwei Unterrichtsräumen. Nach 4-monatiger Unterrichtspause bin ich nach 5UE alle. Komisch.

 

Meine Kollegin ereilt in den nächsten drei Tagen dasselbe Schicksal mit der springenden Verbindung, dem Pingpong in den Kursräumen und der körperlichen Erschöpftheit. Nach vier Tagen wissen wir auch, dass der Fernseher sich nach 4 Stunden selbst ausschaltet, wenn man ihn nicht per Fernbedienung innerhalb von 30 sec wach hält. Man muss nur rechtzeitig wissen, wo die Fernbedienung liegt. Eine planbare Spielerei.

 

Nachdem auch die Techniker sich wundern und schimpfen, wird neue „Technik“ bestellt. Wann die wohl kommt? Vor den Sommerferien oder danach?

 

Frontaler Unterricht wirft uns 100 Jahre zurück, von wegen methodisch-didaktische Entwicklung. Partner- und Gruppenarbeiten sind aufgrund der Abstandsregelungen unmöglich. Doch Unterricht an sich? Erstarrte Bilder, Tonverzögerungen um 45 sec, unlesbare Tafelanschriebe, eine Lehrkraft, die die meiste Zeit am Handy hängt, um einen Techniker zu rufen, lange Zeit geduldige Teilnehmende, die verpflichtet sind, zum Unterricht zu kommen und sich auf die Prüfung vorbereiten wollen. Im Moment beschäftigen sie sich regelmäßig mit dem Senden von Whatsapps und lesen Tafelaufschriebe am Smartphone . Dabei hatte das BAMF an eine Handy-Bildschirmgröße von 10“ gedacht. Naja.

 

Du, übergibt mir nach Unterrichtsende des 4.Tages meine Kollegin, es ist Montagnachmittag, 13.25 Uhr und ich bin fix und fertig! Noch vier Tage bis zum Wochenende......juhuu.

(im Sommer 2020, chh)